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GABEN DER NATUR

 

Als Sie, verehrte Besucherinnen und Besucher, die Galerie betreten haben, sind Sie an einem Bild vorbei gekommen, auf dem eine große Scheibe Ananas den Blick fängt. Die Sonne am Beginn der Ausstellung. Tatsächlich, für die „Gaben der Natur“ ist die Sonne der Beginn ihres Lebens und die Quelle ihrer Dinglichkeit – so auch hier. Im Entstehen und Vergehen. Sie ist die Fülle und die Sinnlichkeit (Zitrone, Feige); aber zugleich auch Begleiterin des Vergehens, des Vertrocknens von Zweigen und Früchten (einige Bilder).

Die Sonne aber macht auch sichtbar – ohne sie bleiben die Dinge im Dunkeln. Und mehr noch: Die Sonne gibt ihnen Schatten. Der Schatten aber ist der untrügliche Beweis, dass sie sind; dass sie ein Dasein haben. Der Schatten gibt ihnen das Irdische; ohne den Schatten keine wirkliche Existenz – Hofmannsthal: Die Frau ohne Schatten. Der Schatten ist das Siegel des wahren Lebens.

 

Rumi (den Rose Eisen so liebt):

Die Rose ist die Lachende; wenn sie nicht lacht,  was soll sie denn?

Der Mond, der strahlende, ihn ziert Anmut und Selbstgefallen! Was weiß er sonst, wes hat er acht? Was soll er denn?

Die Sonne, wenn sie strahlenreich und hellen Glanz verbreitend am himmlischen Gewölbe nicht ihr Licht entfacht, was soll sie denn?

Der Schatten, der die Sonne sieht am Himmel höher steigen, neigt er sich nicht, geht auf die Knie vor ihrer Pracht, was soll er denn?

Der Liebende, der nicht sein Kleid bereit ist zu zerreißen, sooft ein Duft von Deinem Kleid ihm Kunde bracht, was soll er denn?

 

Aber wir befinden uns in der Welt der Früchte – und so ist die Sonne selbst eine Frucht: eine Ananas-Scheibe. Selbst schon ein bischen verglüht, verbräunt: und eingetaucht in die Farben der Nacht: dunkelblau, fast schwarz, als Frucht noch erkennbar an dem Rand der Schale. An die Sonne als banale gelbe Wirklichkeit des Alltäglichen erinnert nur ein kleiner Fleck am Rande.

Sonne, Schatten und Dinglichkeit – sie bilden das Dreieck, innerhalb dessen die einzelne Frucht  ihren Platz findet. Die Komposition, die Farbe, die Interaktion von Hintergrund und Frucht verleihen einer jeden von ihr nicht nur ihre Verbildlichung als Ding, sondern unterstreichen ihren Anspruch, Kunst zu sein; im künstlerischen Raum zu existieren. Jede Kunst-Frucht in ihrer Arbeit reklamiert für sich, als etwas Verwandeltes wahrgenommen zu werden.

Etwas Ovidisches im Sinne von dessen wunderbarem Werk, den Metamorphosen, als den Verwandlungen von einem in einen andern Zustand, gerät bei dem Betrachter in Bewegung: Was war es? Was ist es? Wohin entwickelt es sich? Zum Beispiel die Zitrone mit der Erdbeehre in ein Vögelchen? Die Wurzel mit dem Blatt - eine Henne? Das Blatt  mit seinem Schatten - ein singender Vogel? War die Nuss einmal ein Gehirn oder – wie die Alten dachten - ein Hinweis auf Hoden? Und über die aufgeschnittene Feige mögen Sie selbst nach Ihrer Phantasie rätseln. Die Sonne war wohl einmal eine Sonne; aber die Phantasie der Rose Eisen hat sie mit der dichterischen Gestaltungskraft des Publius Ovidius Naso zu einer Scheibe Ananas gemacht. Eben zu jener Scheibe, die eher gedämpft daherkommt. Fast wirkt sie wie etwas Gewesenes; wie ein Nachklang von etwas ehemals Großem, Lautem.

Einige der der Bilder lassen denn auch das anklingen, was die Dinglichkeit umweht: Melancholie; nein, nicht Abschied oder gar Ende. Vielmehr ein Wink,  darauf, dass bei allem Lebendigen, mithin auch Fruchtigem, das Ende mitgesehen werden muss: Der Schatten, das Dunkel, die andere Seite jener großen Geste des Grußes an die Sonne, den Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra am Beginn seines Werkes aussprechen lässt: „Du großes Gestirn; was wärest Du, wenn Du nicht hättest, welchen Du leuchtest“. Die Dinglichkeit der Früchte zwischen Entfaltung und Abgang – am dunkelsten im Bild der – vertrockneten – Maulbeeren auf mattbraun schimmerndem Glas vor dem Hintergrund eines dunklen Netzwerks. Die melancholische Geste kann poetisch mild sein wie im Falle der Blüten; sie kann aber auch trotzig ausfallen wie im Falle des Granatapfels: Durch eine Kerbe "gezeichnet“ – fast wie ein Kopf, der von einem Säbel geschlagen wurde, in schräger Lage, behauptet er sich gegen strenge Linien: waagerechte und senkrechte, die ihn stützen..?¸die ihn schützen? Oder ist ihm, der offenkundig vieles erlebt hat in seinem fruchthaften Dasein – in der Antike war er ja auch ein Symbol für Fruchtbarkeit - unbehaglich vor dem, was ihn so scheinbar zeitlos und dauerhaft in geometrischen Linien umgibt?

Es gibt keine „Reihe“ von Rose Eisen, die ohne den Menschen wäre. Viele Bilder widerspiegeln die unauflösliche Verflechtung zwischen ihr ( oder dem Menschen oder uns) und dem was um sie und in ihr ist: den Dingen, den Erlebnissen und Gefühlen. So auch in unserer Reihe: Die Nuss und Jean Marais, der große französische Schauspieler (in welchem Sinn die Nuss hier zu verstehen ist, ist Ihnen überlassen). Und ganz besonders subtil der Pilz, dem eine junge Frau entsteigt. Man  könnte sie für die Unschuld vom Lande halten – wäre da nicht der Mythos des Hesiod, der alles offenbart. Die Geburt der Venus aus dem Meer; genauer aus dem Schaum des Meeres, der entstand als Zeus die Hoden seines Vaters Uranos, die er mit der Sichel dem Schlafenden abgeschnitten hatte, ins Meer warf.

Das geschah bei Paphos, westlich von Zypern. Der Pilz mit der jungen Frau  liegt in einem Atelier irgendwo in Berlin. Auf dem Mittelmeer bei Paphos ist die Luft rein und sind die Farben stark. Die Kunst der Rose Eisen sei eine „Synthese aus Farben, Formen und Licht“; Rose Eisen „zeichne mit dem Licht“, hat ein sachkundiger Enthusiast bei anderer Gelegenheit bemerkt. Ja, das ist ihre Stärke, vielleicht ihre Ehrlichkeit; das ist auch die Wurzel der Schönheit ihrer Arbeiten. Hier wird nicht mir technischen Schikanen touchiert, retouchiert und arrangiert. Sie collagiert im eigentlichen Sinn des Wortes: Sie fügt zusammen die Dinge die da und wie sie da sind. Sie gibt ihnen eine neue, innere Valenz, fügt sie zu einem neuen Sinnganzen jenseits ihrer äußeren alltäglichen Gestalt und Funktion. So bewegt sie den Betrachter.

Dinglichkeit und Poesie, Wirklichkeit und Verwandlung, in wechselseitiger Verspiegelung - wie sie Rilke in Gestalt der „Blauen Hortensie“ beschreibt:

 

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln/sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,/hinter den Blütendolden, die ein Blau/nicht auf sich tragen, nur von Ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,/als wollten sie es wiederum verlieren,/und wie in alten blauen Briefpapieren/ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,/Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:/wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu erneuen/in einer von den Dolden, und man sieht/ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

 

Udo Steinbach, 7. April 2016

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