VENUS! – Text von Dr. Angelika Leitzke
Frauen, für Oscar Wilde ein „faszinierend eigenartiges Geschlecht“, sind Mittelpunkt dieser Ausstellung von ca. 15 Fotografien, die in den letzten Jahren entstanden sind: mittels einer Lumix-Kamera und mit Leica Objektiv, doch ohne die kleinen Wunder und Finessen digitaler Bildbearbeitung. Rose Eisen, in Eriwan/Armenien geboren, wo sie lange Zeit als Redakteurin bei Radio Eriwan tätig war, lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Bei der legendären Galerie Bremer in der Fasanenstraße war sie unter dem neuen Betreiber Rolf Rohlow künstlerische Leiterin. Sie beschäftigte sich zuerst mit Papiercollagen und kam dann zur Fotografie; sie stellt heute bereits zum zweiten Mal in der Galerie 16 aus. Diesmal hat sie sich auf die Spuren der Frau im Eva-Kostüm gemacht: auch sie zog wie Goethes Faust „das ewig Weibliche hinan“.
Sie versetzte bekannte Ikonen aus Film und Malerei in die Üppigkeit von Stillleben aus Früchten, Blumen, Gläsern und dekorativen Stoffen, enthüllte und verhüllte mittels Bildausschnitt, Blickwinkel und Requisiten und verpackte die Damen in exzellente, fein aufeinander abgestimmte Farben und Farbkombinationen, die an sich schon eine Hymne an das Leben darstellen. Vorbilder sind hier in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts zu suchen, die Rose Eisen schon im Elternhaus studieren konnte. Ihre Szenerien sind collagiert, sie verbinden die Malerei mit der Fotografie, doch nicht, um mittels der Kamera die Malerei zu imitieren oder um mit ihr zu konkurrieren, sondern um anhand der Malerei der Fotografie zu mehr Sinnlichkeit und Glaubwürdigkeit zu verhelfen - dies in Zeiten, in denen die Fotografie zum wirksamsten und schnellsten Instrument einer alles durchleuchtenden, fixierenden und manipulierenden Medienindustrie geworden ist, die das letzte Geheimnis seiner Aura beraubt und in der die Frau tagtäglich die Hüllen fallen muss, um als kurzer Adrenalinkick den Alltag der Männerwelt zu stimulieren.
Fast möchte man an einen Ausspruch des berühmten amerikanischen Fotografen, Malers und Filmregisseurs May Ray (1890-1976) denken, der sagte: „Ich beschloss, dass die beiden Medien, Fotografie und Malerei, nicht miteinander vergleichbar sind. Also male ich all das, was man nicht fotografieren kann, was aus der Fantasie, aus einem Traum oder einem unterbewussten Impuls herrührt. Und ich fotografiere die Dinge, die ich nicht malen möchte, Dinge, die schon existieren.“
Rose Eisens Frauen existieren oder existierten tatsächlich, wenn auch nicht unbedingt leibhaftig: so waren ihre Vorlagen die Schauspielerinnen Sophia Loren (geboren 1934, lebt noch) und Anna Magnani (1908- 1973) sowie Frauendarstellungen der älteren und neueren Meister, etwa von Auguste Renoir (1841-1919), Gustav Klimt (1862-1918), Félix Vallotton (1865-1925), die betörend aufreizend „Schlafende Venus“, eine Kooperation von Giorgione und Tizian aus der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden (entstanden um 1508), Goyas „Nackte Maja“ (entstanden 1797-1800) aus dem Prado in Madrid, Amedeo Modiglianis (1884- 1920) sich genüsslich auf einem Sofa räkelnde Frauenakte oder die 1863 aus dem Meeresschaum geborene „Venus“ des französischen Salonmalers Alexandere Cabanel (1823-1889) aus dem Pariser Musée d'Orsay - sie wurde wegen ihrer großen Popularität, u. a. bei Napoleon III., bald auch „Salon-Venus“ genannt.
Doch nicht die Sensation Frau als Sexobjekt, Playgirl und Skandalmätresse interessiert die Fotografin, auch nicht die Frau in einer bestimmten Rolle – etwa in der stressbelasteten Aufteilung als treue Ehefrau, liebevolle Mutter, wunderbare Geliebte, perfekte Hausfrau und kompetente Kollegin; Rose Eisen betreibt vielmehr eine Hommage an die Weiblichkeit schlechthin, vielleicht im Sinne des „Cherchez la femme!“ - „Mach die Frau ausfindig!“, eine Aufforderung, die sie an den weiblichen wie männlichen Betrachter gleichermaßen richtet und die im Zuge der – oft nur – vermeintlichen weiblichen Emanzipation seit dem beginnenden 20. Jahrhundert, die gerne Frauen zur Vermännlichung oder in Männerrollen drängt, verloren gegangen sein mag, wenn auch die Suche noch weiter läuft und nicht einfach zu sein scheint- so bemerkte Albert Einstein lapidar: „Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen - etwa der Relativitätstheorie.“
Weiß man um die Zutaten von Rose Eisens Frauen-Stillleben Bescheid, so könnte man Appetit bekommen: Goyas „Nackte Maja“ etwa ist auf gelber Polenta, mit Rosenblättern garniert, gebettet, und Sophia Loren entsteigt in schräger Verkürzung, die Fülle ihres Dekolletés großzügig darbietend, einer rosa Mélange aus Himbeeren. Allein das - einzige - Schwarzweißfoto der Ausstellung präsentiert eine Zeitgenossin, eine junge Deutsche im strengen Profil, deren Nacktheit ihr langes schwarzes Haar wenn nicht verhüllt, so doch
unterstreicht - ihr Attribut an die Weiblichkeit ist eine Muschel, die sie in den Händen hält - aus ihr entsteigt übrigens die frisch aus dem Meer wie bei Cabanel geborene Venus, die Botticelli 1485 malte (Uffizien), ist doch Venus alias Aphrodite in der griechischen Mythologie eine Tochter des Uranos, dem sein eigener Sohn, Kronos, aus Familienhass die Geschlechtsteile abschnitt und ins Meer warf, worauf aus dem Blut und den Samen, vermischt mit dem Wasser, Venus geboren wurde.
Sexistische Fantasien und Konsumverschleiß kommen bei Rose Eisen nicht ins Spiel, sie adelt, auch nicht ohne Augenzwinkern, die Frau mittels ihrer Fototechnik als begehrenswertes Motiv von Künstlern der verschiedensten Sparten und Zeiten, sie lebt mit ihren Protagonistinnen die Lust von Weiblichkeit an der Weiblichkeit, die, so wünschen wir, in dieser Ausstellung auch den Betrachter „mit hinan“ ziehen möchte.
Dr. Angelika Leitzke, Berlin